Über zweieinhalb Jahre hat uns die Pandemie in Aufregung gehalten. Während die Infektionen und deren Verhinderung durch sogenannte nichtmedikamentöse Interventionen (NPI) Diskussionen und Schlagzeilen beherrschen, bekommen die dadurch angerichteten Kollateralschäden in einer extrem asymmetrischen Diskussion keine entsprechende Aufmerksamkeit. Das ist gleichbedeutend mit der Missachtung des Fundaments der Evidenzbasierten Gesundheitsversorgung, der Abwägung von Nutzen – Schaden – Kosten. Die fehlende wissenschaftliche Evidenz für Entscheidungen in Politik und anderen gesellschaftlichen Entscheidungsstrukturen ist einer der großen Kollateralschäden der Pandemie.
Seit Anfang 2020 ist klar, dass für eine Bewertung der Maßnahmen im Pandemiemanagement die notwendigen Daten weitgehend fehlen, schon frühzeitig durch Schlagworte wie Dunkelziffer oder Datenblindflug charakterisiert. Die beiden großen Herausforderungen sind einmal der Erkenntnisgewinn über den Immunstatus der Bevölkerung und das Verständnis der Infektionsmechanismen (wo, wann, wie?) und zum anderen die Bewertung der NPIs. Das dafür notwendige Verstehen von Kausalzusammenhängen bedarf auch in Nichtkrisenzeiten komplexer, hochwertiger wissenschaftlicher Methoden und relevanter, aktueller Daten. Diesen Herausforderungen wurden in keinem Moment ernsthaft begegnet.
Statt die seit Jahrzehnten entwickelten Grundprinzipien der Technikfolgenabschätzung, im Gesundheits- und Public-Health-Bereich speziell Health-Technology-Assessment (HTA) zur Grundlage zu machen und entschlossen an die Situation anzupassen, verkam dieser notwendige Schritt von Anfang an zu "Expert*innen"auftritten in Talkshows, ohne von Moderator*innen hinterfragt zu werden.
Besonders deutlich wird die schwere Beschädigung der Evidenzbasierung nicht nur durch die chronisch spekulativen Aussagen, sondern auch durch das totale Fehlen der Aussagen zu der Vertrauenswürdigkeit von wissenschaftlichen Ergebnissen zu diesen Maßnahmen. Diese explizite Einschätzung der Unsicherheit ist unverzichtbarer Kernbestandteil der Evidenzbasierten Gesundheitsversorgung und Basis für “Decicion making under Uncertainty“.
zurück